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SCHLOSS POTZNEUSIEDL
EINE ÜBERVOLLE KUNSTKAMMER
Text: Clarissa Mayer-Heinisch
Im Laufe der letzten 50 Jahre hat der Geschäftsmann Gerhard
Egermann Ikonen und Madonnen, Bibeln und Bücher, Bilder und Möbel, Porzellan und
Keramik, Schmuck und Uhren, Fayencen und Glas sowie allerlei skurrile
Gegenstände angesammelt, die ihm und den Besuchern seiner Kunstkammer Freude
bereiten und nebenbei die Erhaltung des Schlosses sichern.
Der erste Eindruck ist überwältigend. Wenn das schwere
Eingangstor geöffnet wird, steht man in einer Halle, in der jeder
Quadratzentimeter belegt ist. Auf Tischen, Regalen, Sesseln und Bänken türmen
sich Hunderte Gegenstände aus allen Epochen - ein kreatives Durcheinander, das
den Besucher sofort in seinen Bann schlägt. Man kann nicht umhin, gleich mit dem
Stöbern zu beginnen. Hier finden sich alte und neue, wertvolle und weniger
wertvolle, brauchbare und weniger brauchbare Dinge. Und jedes einzelne Stück -
Unikate ebenso wie seriell erzeugte Gegenstände - hat seine eigene Geschichte.
„Bis auf die wundertätige Madonna und meine Dogge Emily ist hier alles
verkäuflich", erklärt der Schlossherr lachend und erzählt, wie es zu alldem kam.
Wie er als junger Bursche mit dem Geschenk eines Bausparvertrages von 500.000
Schilling in der Tasche auf die Suche nach einer passenden Investition ging und
durch Zufall auch ins burgenländische Dorf Potzneusiedl gelangte. Hier stand die
Ruine eines klassizistischen Schlosses, dessen Hauptfassade der Parkseite
zugewandt ist und dessen goldener Schnitt den studierten Ingenieur von Anfang an
begeistert hat. „Es war Liebe auf den ersten Blick", erinnert sich Gerhard
Egermann. Und er hat sich damals gleich darangemacht, das Haus auf Vordermann zu
bringen.
Die lange Geschichte des Schlosses hatte ihre Spuren hinterlassen. Im Jahre 1002
heiratete der später heiliggesprochene König Stefan die bayerische Prinzessin
Gisela, in deren Gefolge auch einige adelige Bayern in die Region zogen, allen
voran die Grafen Poth. Potz(Poth)neusiedl und Podersdorf wurden von diesem
Geschlecht im 14. Jahrhundert gegründet, und die gotischen Grundmauern von
damals bildeten das Fundament für das Schloss, das 1808 in seiner heutigen Form
vollendet war.
Die Batthyanys waren die Grundherren, als Gerhard Egermann Potzneusiedl
entdeckte. „Das Dach war weg und auch alles andere eher desolat", beschreibt der
gebürtige Burgenländer, aber die 70 000 m2 Grund und das Haus samt
Kutschengarage und Pferdestall hatten es ihm angetan. Zur damaligen Zeit führte
Egermann ein Elektrounternehmen in Wien, musste aber bald feststellen, dass die
Erlöse daraus für die Renovierung des Schlosses nicht genügten. Er
verkaufte sein Unternehmen und entwarf den ungewöhnlichen Plan, sein Schloss als
Kunst- und Antiquitätenzentrum zu verwenden. „Ich war immer schon ein
Kunstsammler und Dorotheum-Geher", sagt Egermann, dem es als geschickten
Verhandler bis heute gelingt, mit Kunst und Kram gute Geschäfte zu machen.
Die Sammlung ist im Laufe der Jahre zu einer schier unermesslichen Größe
angewachsen. Allein 800 000 Bücher sind durch Egermanns Hände gegangen, für die
er einen eigenen Bücherturm gebaut hat und die er als modernes Antiquariat
ebenso wie als Fundstelle für vergriffene und alte Literatur führt. Seine
Lieferanten sind Verlage, deren Restposten er um Schnäppchenpreise einkauft. Da
kommt es auch schon mal vor, dass entsprechende Gegengeschäfte gemacht werden:
Als er
zum Beispiel vor einigen Jahren die übrig gebliebenen Ausgaben von „Begegnungen"
seines Freundes Gregor von Rezzori kaufen wollte, verlangte der Verlag, dass er
gleichzeitig auch mehr als 2000 (!) Exemplare einer Auflage von Romanen von
Elfriede Jelinek übernahm. Kurz darauf kam Egermann das Glück zu Hilfe, denn als
er schließlich mit ein paar tiefen Sorgenfalten die Jelinek-Bücher untergebracht
hatte, gewann die Autorin den Nobelpreis für Literatur.
Als Kunden seiner Bücher kann Egermann neben interessierten Privatpersonen und
Sammlern auch einige Buchhändler der alten Schule zählen, von denen es aber
„immer weniger gibt", wie er bedauernd feststellt. Auf großes Interesse hingegen
stoßen die „Alten Meister", die Gerhard Egermann zusammenträgt. Im Moment sind
es das Kunstwerk „Madonna im Blumenkranz" von Jan Brueghel dem Jüngeren, das
„Gastmahl der Kleopa-tra" aus dem 17. Jahrhundert und ein 300 Jahre altes
Gemälde, das bis vor Kurzem noch Goya zugeschrieben war. Auch eine Vorlage für
oft gewebte Tapisserien aus der Werkstatt des Peter Paul Rubens hängt bei
Gerhard Egermann.
„Learning by Doing" war über eine lange Zeit hinweg das Motto des Kunsthändlers,
der sich nach mehr als 50 Auktionen, für die im Vorfeld jeweils an die 400
Posten zu beurteilen, zu bewerten und zu beschreiben waren, sowie dank der
Unterstützung eines Sachverständigen mittlerweile die Kompetenz und die
offizielle Erlaubnis erarbeitet hat, als Kunstexperte tätig zu sein. Mit dieser
Expertise und dank guter Vernetzung in die Welt der Kunst führt Egermann als
Miteigentümer ein Antiquitätengeschäft in der Wiener Dorotheergasse und sammelt
nebenbei für die Kunstkammer in seinem Schloss unermüdlich weiter.
So hat er beispielsweise eine ganze Menge an Autographen zusammengetragen: das
handschriftliche Testament Kaiser Franz Josephs, das Egermann inzwischen zu
einem sehr guten Preis verkauft hat, einen Brief Arthur Schnitzlers an dessen
Freundin Eise, in dem er verspricht, ihr ein literarisches Denkmal zu setzen,
oder Originalschriften von Karl May und Peter Rosegger. Daneben findet man in
Egermanns Kunstkammer auch an die 20 000 Gläser, viele von ihnen aus der Zeit
des Biedermeier, und jede Menge Figuren aus Holz, Bronze oder Porzellan,
darunter eine 800 Jahre alte gotische Barbara-Statue.„Ich kaufe, was besonders
nett und billig ist. Ich lege freche Unterangebote und freue mich, wenn das eine
oder andere schöne Stück auf diese Weise ins Haus kommt", so Egermann. Und er
erzählt, wie er erst kürzlich durch puren Zufall - weil er nämlich den Zug nach
Wien versäumt hatte - in einem Münchner Auktionshaus das Gemälde „Jesus
erscheint seinen Jüngern" von Franz Defregger (19. Jh.) um ein Viertel des
Rufpreises erstehen konnte.
Freundschaften bedeuten Gerhard Egermann viel. So kaufte er immer wieder beim
Kunstsammler Rudolf Leopold, Ernst Fuchs malte in Potzneusiedl ein Selbstporträt
und überließ es dem Hausherrn, und ein alter Schulfreund vererbte Egermann seine
Langspielplattensammlung. „Ich tausche oft Software gegen Hardware", beschreibt
der Kunstsammler, wenn er für Einlieferungen von Ware CDs produziert, wenn er
für Rumänen, deren Honorarkonsul er seit vielen Jahren ist, Weinverkostungen,
Konzerte, Lesungen und vieles mehr in seinem hauseigenen Theatersaal
veranstaltet, oder wenn er für den Jesuiten-Pater Georg Sporschill Geld sammelt
und selbst spendet, um dessen Aktivitäten in Sachen „Rettung rumänischer
Straßenkinder" zu unterstützen.
Absolutes Herzstück des Schlosses Potzneusiedl ist das Ikonenmuseum. Man betritt
eine eigene Welt, in der die ungewöhnlichsten Bibelausgaben neben einer Menge
prächtiger Ikonen aus verschiedenen Zeiten lagern. Hier befindet sich auch „Die
wundertätige Madonna", eine Kopie der Gottesmutter von Kasan aus dem 16. Jh.,
eine der meistverehrten Ikonen in der russisch-orthodoxen Kirche. Gerhard
Egermann hat sie vor fast 40 Jahren einem Bauern abgekauft, der sie seit dem
Ende der Besatzungszeit in seiner Scheune verwahrt hatte. Sie scheint russischen
Soldaten zur Anbetung gedient zu haben, und bis heute sind es jeden Monat drei
bis vier ältere Herren, denen die 2000 Kilometer aus ihrer russischen Heimat
nicht zu weit sind, um diese Madonna noch einmal zu sehen. „Sie ist
unverkäuflich", betont Gerhard Egermann ein weiteres Mal und hat bereits
verfügt, dass sie nach seinem Tod in der Basilika von Frauenkirchen einen fixen
Platz erhält.
Für Unterhaltung ist in Potzneusiedl immer gesorgt — besonders dann, wenn
Gerhard Egermann beginnt, „G'schichtln" zu erzählen. Beispielsweise die, als er,
der große Tierfreund, in seinem Garten einen Nasenbären hielt, der leider ein
bisschen aggressiv war. Der Tierliebhaber studierte einige Bücher und fand
alsbald heraus, dass sich Nasenbären durch Verzehr von Fallobst des Gartens bei
Laune halten, sprich sie brauchen Alkohol. Als Egermann daraufhin seinem Bären
ab und zu ein Gläschen Cognac spendierte, wandelte sich dieser zum echten
Kuschelbären — zumindest solange der Pegel stimmte. Eines Tages erhielt Egermann
einen Anruf aus der örtlichen Konditorei: Die fassungslose Wirtin hatte den
Nasenbären in ihrer Tortenvitrine entdeckt. Egermann eilte hin und zog das Tier
am Schwanz heraus. Zwischen den Vordertatzen waren noch Reste von Punschkrapfen
zu sehen.
Nicht weniger turbulent muss es im Park von Potzneusiedl zugegangen sein, als
Egermann darin einige Steinböcke beherbergte. Diese hatten die Unart, den
Schlossgästen die brennenden Zigaretten aus den Händen oder die ganzen Packerin
aus den Hosentaschen zu klauen.
Egermann sammelt indes munter weiter, kauft Restposten aus dem Dorotheum,
übernimmt Verlassen-schaften und jagt nach qualitätvollen Schnäppchen, um all
das an Freunde und Besucher zu verkaufen. Sieben Tage pro Woche kann man durch
die mit Kunst dicht bestückten Zimmerfluchten streifen, den Balkon und den
wunderbaren Schlosspark genießen und mit ein bisschen Glück gemeinsam mit dem
Hausherrn den ersten eigenen Wein verkosten.
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